Igel
Der europäische Braunbrustigel (Erinaceus europaeus) ist in den letzten Jahre immer mehr zum „Sorgenkind“ geworden: Der Vernichtung von Lebensraum, insbesondere durch die „Säuberung“ der Kulturlandschaften von Knicken (Buschsäumen rund um die Felder) und ähnlichen Klein-Biotopen, das immer verbreitetere „Leerräumen“ von Gärten hin zu reinen, sterilen Rasenflächen und der damit einhergehende Schwund an Insekten, die dem Igel als Nahrungsgrundlage dienen, haben die Art mittlerweile auf die Roten Listen gebracht.
Dramatisch geschrumpfte Lebenserwartung
Obwohl ein Igel in der Natur normalerweise rund 7 Jahre alt werden kann — und sogar schon 16 Jahre alte Igel gefunden wurden [1], zeigen aktuelle Untersuchungen eine durchschnittliche Lebenserwartung von unter zwei Jahren beim heimischen Braunbrustigel (Daten für Dänemark).
Zusammen mit einer sehr hohen Mortalität (Sterberate) bei Welpen ist klar, dass beide Faktoren zusammen zu Einbrüchen in den Populationen führen müssen: Bereits 1977 wurde berechnet, dass 20% der Welpen starben, noch bevor sie im Alter von ca. einem Monat ihr Wurfnest verlassen, 70% starben nach diesen Daten binnen ihres ersten Lebensjahres [2]. Da sich die Lebensbedingungen für den Igel seit 1977 dramatisch verschlechtert haben, dürften diese Zahlen heutzutage noch erheblich höher liegen und somit nicht wenige Würfe komplett ohne Erfolg bleiben in dem Sinne, dass Nachkommen lange genug überleben, dass sie sich selbst wieder fortpflanzen (können).
Der Igel als Päppeltier
Entsprechend der Lage werden Igel mittlerweile das komplette Jahr über als notleidend auffällig und die Glücklichen unter ihnen finden den Weg in „Päppelstationen“. Eine Zeit ohne Aufnahmen von Notfällen, wie es früher beispielsweise im Winter oft der Fall war, gibt es seit einigen Jahren praktisch nicht mehr.
Im Gegenteil. Ausgelöst durch immer häufiger vorkommende frühe Warmphasen im Februar oder März (oder gar im Dezember) werden in manchen Regionen in den letzten Jahren sogar schon im zeitigen Frühjahr erste Jungtiere gemeldet.
Die größten Probleme haben Igel mittlerweile mit überschießenden Parasitosen, hauptsächlich ausgelöst durch Unterernährung und Fehlernährung (der Fluch der Schnecken und Regenwürmer) — hier spielt seit einigen Jahren vor allem der Darmsaugwurm (Brachylaemus) eine schlimme Rolle. Befallene Tiere nehmen zunächst schleichend, dann galoppierend ab — selbst bei mehr als ausreichender Futterzufuhr (die es in freier Natur ja kaum mehr gibt). Am Ende steht völlige Auszehrung und tödliche Darmentzündungen.
Neben diesem in Deutschland erst seit kurzem auftretenden Darm-Parasiten sind die häufigsten „natürlichen Wegbegleiter“ des Europäischen Braunbrustigels Lungenwürmer (Crenosoma striatum), Haarwürmer (Capillaria) sowie Kokzidien (Hauptsächlich der Gattung Isospora). Im österreichischen Raum sehr häufig ist zudem ein Befall mit Kratzern. Eher selten kommen Bandwürmer und weitere Endoparasitengruppen vor.
Bei den Ektoparasiten sind Flöhe (vor allem der Igelfloh, Archaeopsylla erinacei) normale Begleiter sowie Zecken — allen voran die Igelzecke, Ixodes hexagonus –, aber auch alle möglichen weiteren Zeckenarten. Hinzu kommen Milben, hier am häufigsten die Igel-Räudemilbe Caparinia tripilis, aber auch Haarbalgmilben und andere Milbenarten kommen vor.
Gerade die Caparinia tripilis verursacht bei starkem Befall mitunter durchaus großflächige Hautläsionen und überträgt zudem Hautpilz durch Trichophyton-Arten.
Neben den Erkrankungen spielen beim Igel als Päppeltier zudem sehr häufig Verletzungen eine Rolle, beispielsweise Verwundungen durch Gartengeräte (Freischneider, Fadensensen, Laubbläser, Rasenmäh-Roboter etc.), Verwundungen, die sich an Zäunen, an Müll oder durch Sturz in Schächte oder Treppenstürze zugezogen wurden sowie Verwundungen durch Kämpfe von Tieren untereinander oder durch Hundebisse. Straßenverkehrs-Opfer überleben die Zusammenstöße meist nicht, so dass solche Tiere eher selten in Päppelhände gelangen. Ebenfalls menschengemacht sind die Fälle von Vergiftung, dies sind bei Igeln beispielsweise Vergiftungen durch Rattengift — ggf. durch Fraß an Aas aufgenommen — sowie durch verschiedene Gifte gegen Schnecken.
In der Wurfzeit brauchen — wie bei allen Wildtieren — häufig verwaiste Babys Hilfe in Form von Handaufzucht. In der Winterschlafzeit sind es oft unterernährte Tiere, die mangels Gewicht nicht einschlafen können oder es mangels Körpermasse gerade noch so geschafft haben zu erwachen — zum Glück — und dann aber natürlich keinerlei Nahrung finden im Winter. Hier hat man es dann meist parallel auch mit Überparasitierung zu tun. Und selbst bei verwaisten Babys spielen nicht selten bereits Endoparasiten (von der Mutter übertragen) eine Rolle.
Hilfsbedürftige Tiere werden tagaktiv und dann meist innerhalb kürzester Zeit von Fliegen mit Eiern belegt. Die schlüpfenden Maden dringen nicht nur in Wunden vor und fressen sich darin in den Igel hinein. Vielmehr suchen die Maden aktiv nach „Eingängen“ in die Igel und dringen durch After, Scheide/Penis, Ohren, Nase, Mund und Augen IN das hilfsbedürftige Tier ein und fressen parallel somit auch von innen am Igel.
Und schließlich sind es leider weniger selten, wie man es sich wünschen würde, mitunter auch Tierarzt-Fehler, die dazu führen, dass ein Igel in die Pflege einer Igelstation kommen muss.
Quellen
[1] Dr. Sophie Lund Rasmussen, „The Danish Hedgehog Project“: 390 untersuchte Igel (Straßenverkehrsopfer & sonstige Totfunde), Durchschnittsalter 1,82 Jahre, Alters-Range: 0-16 Jahre, neun Individuen 9 Jahre und älter. Quelle: Vortrag auf dem Kongress „First International Scientific Conference for Rehabilitators of European Hedgehogs“ in Dänemark, September 2020.
[2] Pat Morris 1977 im „Journal of Zoology“, berechnet auf Basis von 76 mütterlicher Nester. Quelle: https://www.wildlifeonline.me.uk/animals/article/european-hedgehog-mortality-introduction