Adulter Darmsaugwurm (Brachylaemus) mit Eiern

Der Darmsaugwurm – Brachylaemus erinacei (Englisch „Fluke“)

In Deutschland war noch vor einigen Jahren der für Igel extrem gefährliche Darmparasit „Darmsaugwurm“ ein nur räumlich begrenzt vorkommendes Thema: Während die Igel-Stationen im Norden der Republik bereits zunehmend Bekanntschaft mit diesem Igel-Innenparasiten bekamen, fand er sich in Igeln im Kölner Raum noch 2019 Jahren nur in ca. jedem siebten auffällig gewordenen (also in die Hand von Päppelnden gelangten) Igel.

Mittlerweile sieht es anders aus, der im Darm parasitierende „Egel“ ist flächendeckend weit verbreitet in Igeln und richtet enorm viel Unheil an. In 2022 musste im Kölner Raum bereits mehr als jeder zweite Igel auf den Brachylaemus behandelt werden, um gesund zu werden.

Denn unbehandelt entwickelt sich dieser gefährliche Parasit bei den in Stationen aufgenommenen Igeln in praktisch 100 % der Fälle tödlich — und dies auch noch unheimlich schnell: Meist innerhalb weniger Tage, mitunter verfallen die Tiere aber sogar binnen Stunden!

Ähnlich ist die Lage auch in anderen europäischen Ländern, so berichten auch britische Igelstationen von großen Problemen mit dem Darmsaugwurm, der dort „Fluke“ genannt wird.

Biologie des Igel-Darmsaugwurmes

Der Darmsaugwurm ist ein zwittriger Trematode, ähnlich dem Leberegel, dessen Entwicklung man oft im Biologieunterricht als Beispiel für den Generationswechsels mit mehreren Wirten kennenlernt.

Wie bei diesem erfolgt auch die Entwicklung des Brachylaemus über einen Generationswechsel, allerdings mit nur einem einem Zwischenwirt:

Phylogenetisch wird der Igel-Darmsaugwurm der Trematoden-Unterklasse Degnea zugeordnet, darin der Ordnung Diplostomida, Unterordnung Diplostomata, Überfamilie Brachylaimoidea, Familie Brachylaimidae (Joyeux & Foley, 1930).

Trematoden-Miracidium (Wimpernlarve)
Trematoden-Miracidium (Wimpernlarve) — Bild von „Ash-and-Smoke“ via Wikimedia, gemeinfrei
Legende: (1) Apikalpapille, (2) Penetrationsdrüse, (3) laterale Drüsen, (4) Augenflecken, (5) Nervensystem, (6) Protonephridien (Ausscheidungsorgane), (7) Cilien (bewegliche Wimpern zur Fortbewegung), (8) Stammzellen (Grundstock für spätere Vermehrung)

Die vom erwachsenden, weiblichen Darmsaugwurm produzierten Eier, die bereits eine an der gesamten Körperoberfläche bewimperte erste Larve (sogenanntes Miracidium, schematisierter Bauplan siehe Zeichnung, nach Wikipedia) enthalten, werden vom Igel mit dem Kot ausgeschieden und gelangen so in die Umwelt.

Der die Larven enthaltende Kot wird von Schnecken gefressen. In verschiedenen Land- & Wasserschnecken (z. B. der Gattung Helix — hierunter fallen sowohl Weinbergschnecken als auch die kleinen bunten Gartenschnecken, aber auch Succinea — das sind kleinen Bernsteinschnecken sowie Arion — hierunter fallen die Wegschnecken, sowohl die kleinen einheimischen, als auch die eingeschleppte Spanische Wegschnecke [Q1]) entwickelt sich die mit dem Kot aufgenommene Larve dann in der Schnecke weiter zur infektiösen zweiten Larve, der sogenannten Zerkarie (Foto: Zerkarie einer anderen Trematoden-Art). Zerkarien sind langgestreckt, sie besitzen bereits einen Mund- und Bauchsaugnapf sowie einen Darm und ein Nervensystem, jedoch noch keine Geschlechtsorgane. Sie bewegen sich mit einem Ruderschwanz fort.

Igel, die befallene Schnecken fressen, nehmen diese Larven dann mit der Schnecke auf. Förderlich für die Aufnahme infizierter Schnecken dürfte der Umstand sein, dass Schnecken, die Miracidien aufgenommen haben, als signifikant aktiver („restless“) beschrieben wurden [Q2].

Zerkarie von Schistosoma
Zerkarie von Schistosoma, Bild: Sara Nabih via Wikimedia, CC BY-SA 4.0

Nach der Aufnahme wirft die Zerkarie ihren Schwanz ab, verankert sich in der Darmwand des Igels und entwickelt sich dort zum adulten (erwachsenen) zwittrigen „Egel“, der sowohl weibliche (Ovarien) als auch männliche (Testes) Geschlechtsorgane enthält. Dabei besiedeln die Parasiten vor allem den Dünndarm des Igels, bei sehr starkem Befall auch die Gallengänge sowie den Blinddarm.

Auch der erwachsene Darmsaugwurm verfügt über zwei Saugnäpfe („Haftscheiben“), einen vorn sowie einen in der Mitte der vorderen Körperhälfte. Mit diesen saugt er sich im Darm fest, um dort dann zu parasitieren.

Dabei schädigt der Saugwurm die Darmwand, es kann zu teils heftigen Darmentzündungen kommen, die sich nicht selten auch durch Blut im Kot zeigen.

Saugwürmer sind langlebig, für den verwandten Leberegel wird eine Lebensspanne von 20-30 Jahren angegeben.

Symptome einer Infektion mit Brachylaemus

Neben der Belastung durch die gefährliche Entzündung, verliert der Darm zudem einen wichtigen Teil seiner Resorptionsfähigkeit. Das heißt, die Igel können aus dem verdauten Futterbrei nur noch einen geringen Teil der Nährstoffe aufnehmen, so dass sie auch bei guter Futterversorgung unterernährt sind und trotz ausreichender Futteraufnahme (manchmal gar „Heißhunger“) an Gewicht verlieren.

Gedeihstörung durch DSW?

In der letzten Zeit berichten immer mehr Igelpäppelstellen über vermehrt auftretende Fälle von Minderwuchs. Es kommen in die Stationen immer häufiger Igel, die deutlich kleiner als normal sind, manche haben nur die Größe von Säuglingen oder Igelkindern, obwohl sie tatsächlich vom Entwicklungsstand her (jung-)erwachsene Igel sind.

Fast immer finden sich bei diesen Zwerg-Igeln starke Brachylaemus-Infektionen, oft sehr hartnäckige, die nur über mehrere Entwurmungen zu beseitigen sind. Es dauert oft „gefühlt ewig“, diese Igel auf 400 Gramm Körpergewicht zu bringen. Die Sterblichkeit ist zudem sehr groß. Sind jedoch einmal 400 Gramm erreicht, fangen die Tiere oft an, normal zu wachsen und zuzunehmen und können eine halbwegs normale Größe und Gewicht erreichen. Das heißt, die Igel behalten mitunter mehrere Wochen während und nach der Entwurmung noch ihre zu geringe Größe und ihr Untergewicht und fangen erst dann „plötzlich“ an, in normalem Maße zu wachsen und an Gewicht zuzunehmen.

Ich persönlich denke, dass die Ursache für solche Minderwuchs-Effekte (kein Zwergenwuchs) eine frühe Aufnahme von Brachylaemus ist, die — wenn sie nicht bereits zum frühen Tod des Jungtieres führt –, dessen normale Entwicklung verzögert oder behindert, da die chronische Darmentzündung eine ebenso chronische Nährstoff-Unterversorgung verursacht.

Entsprechende Mechanismen werden für den Menschen bei chronischen Darmentzündungen im Kindalter beschrieben und wären somit auch bei anderen Säugern erwartbar.

Zudem kann sich die Darmentzündung durch „wolkenartig“ im Kot enthaltenen Blut zeigen sowie in den typischen Darm-Symptomen, wie grüner, matschiger, weicher Kot oder Durchfall, oft auch leicht säuerlich riechend. Allerdings finden sich aber immer wieder auch befallene Igel, deren Kot „vorbildlich“ aussieht, obwohl sie unter Darmsaugwurmbefall leiden und Symptome zeigen.

Häufig zeigen die Tiere anfangs noch guten Appetit oder gar Heißhunger, oft gepaart mit deutlicher Unruhe („Getrieben-Sein“).

Im Verlauf treten meist dann erst ein schleichender, dann mitunter aber auch dramatischer Gewichtsverlust auf — typisch ist ein richtiggehend „ausgemergeltes“ Erscheinungsbild –, darüber hinaus Probleme, die Körper-Temperatur zu halten (kühler Bauch), Apathie, Anzeichen für schwere Bauchschmerzen (Bauch auf den Boden pressen, im Schlaf stöhnen), zuletzt folgt auch Inappetenz (Futterverweigerung) sowie helle Schleimhäute als Anzeichen für Anämie.

Unbehandelt zeigt sich der Darmsaugwurm praktisch immer tödlich, wobei der Verlauf oft galoppierend ist. Das heißt, der Zustand der Tiere verschlechtert sich von einem Moment auf den nächsten und der Tod tritt mitunter binnen Stunden ein.

Dabei spielt oft auch die Zufuhr von Wärme eine Rolle: Denn bei Tieren, die auf Wärme gelegt werden, wirkt der Darmsaugwurm häufig wie „aktiviert“ und der Zustand des betreffenden Igels verschlechtert sich rapide.

Dies bedeutet aber keinesfalls, dass das Tier in kalter Umgebung keine Probleme mit der Saugwurm-Infektion bekommen würde, denn die vielen Beispiele von völlig ausgemergelten Tieren, die mit massivem Befall und hochgradiger Symptomatik zur Aufnahme kommen, zeigen, dass die Igel nicht nur in der warmen „Päppelstube“ symptomatisch werden.

Der vereinzelt geäußerte Rat, Igel „lieber draußen (zu) lassen“, um somit der Darmsaugwurm-Problematik nicht begegnen zu müssen, ist daher fatal.

Dennoch muss die Gefahr der Wärmezufuhr beachtet werden, gerade weil ein häufiges Symptom das Kalt-werden der Igel ist, was wiederum eine Zuführung von Wärme für die Stabilisierung und weitere Behandlung nun einmal unabdinglich macht.

Unterschiedliche Verbreitung bei Geschwister-Arten

Eine interessante Studie aus 2014 fand bei einer Untersuchung der Parasitenlasten der beiden Schwesterarten Erinaceus europaeus und E. roumanicus (Nördlicher Weißbrustigel oder auch Osteuropäischer Igel) im selben Lebensraum in Tschechien unterschiedliche Infektionsraten der Arten für verschiedene Parasiten. So zeigten sich beim Europäischen Braunbrustigel (Erinaceus europaeus) signifikant stärkere Parasitierungen sowohl durch den Darmsaugwurm als auch durch Haarwürmer (Capillaria). Der Osteuropäische Igel litten dagegen häufiger unter dem Igel-Bandwurm (Hymenolepis erinacei), Magenwürmern (Physaloptera clausa) und Kratzern (Nephridiorhynchus major). Als eine mögliche Ursache vermuten die Autor*innen unterschiedliche Präferenzen der beiden Igelarten bei ihrer Ernährung. [Q3]

Es empfiehlt sich daher bei Tieren, die gewärmt werden müssen, immer den Darmsaugwurm zuvor auszuschließen oder mindestens gleichzeitig zu behandeln.

Nachweis der Infektion

Eine Infektion mit Brachylaemus ist beim Igel nicht zuverlässig über den Kot nachweisbar. Zum einen werden die Eier nur zeitweise und oft in geringeren Mengen ausgeschieden, zum anderen sind sie klein und nur einzeln in den untersuchten Kotabschnitten vorhanden, so dass sie leicht übersehen werden können.

Darmsaugwurm-Ei, Igel
Darmsaugwurm-Ei, Igel — Kot direktausstrich, 400fach (eigenes Bild)

Eine Anreicherung über Flotation kann helfen, am besten hilft es, schon die zu untersuchenden Kotbestandteile gezielt auszuwählen: So finden sich die Eier des Darmsaugwurmes besonders in blutig-rosigen hauchfeinen und durchscheinenden „Überzügen“ von Kotwürsten oder solchen rosig-glasigen Enden. Innerhalb einer Kotprobe finden sich die Eier oft zwischen Eiern von Darmhaarwürmern, es ist daher wichtig, solche Ansammlungen genau zu scannen, ob sich darunter auch die etwas kleineren und durchscheinenderen Saugwurm-Eier finden lassen.

Wegen der Unzuverlässigkeit der Detektion eines Befalles über die parasitologische Kotuntersuchung und da der beim Igel zur Entwurmung gegen Saugwurm eingesetzte Wirkstoff (Praziquantel) sehr gut verträglich ist, wird dieser — unbehandelt schnell tödliche — Parasit auch allein auf Symptombasis behandelt, also wenn ein oder mehrere der oben beschriebenen Symptome vorliegt.

Damit unterschiedet sich der Darmsaugwurm von anderen Endoparasiten des Igels, die nur in seltenen Ausnahmefällen auf Symptombasis, in der Regel nämlich erst nach gesichertem mikroskopischem Nachweis behandelt werden.

Behandlung

Der Darmsaugwurm wird in der Regel mit dem Wirkstoff Praziquantel behandelt. Praziquantel ist in Deutschland seit 2018 rezeptpflichtig. Der Tierarzt wird das Medikament entweder oral oder durch subcutane Injection verabreichen. Dabei ist die orale Gabe vorzuziehen, da hierbei die Wirkung schneller eintritt und zudem auch stärker ist.

Denn für die Wirkung muss der Wirkstoff in direkten Kontakt mit dem Tegument (das ist die „Außenhaut“) des Parasiten kommen. Dies geschieht, wenn das Medikament im Fluss mit dem Nahrungsbrei durch den Darm fließend den in den Darm hinein hängenden Saugwurm umspült.

Der Wirkstoff wird vom Parasiten sehr schnell über das Tegument aufgenommen. In der Folge wird das Tegument teilweise zerstört. Es kommt zu einem Kalzium-Einstrom, der zu einer spastischen Lähmung des Parasiten führt. Zudem können nun Verdauungsenzyme aus dem Igeldarm in den Parasiten eindringen. Der gelähmte Parasit löst sich von der Darmwand und kann somit ausgeschieden werden [Q4]. Der Kot behandelter Igel enthält oft eine ganze Anzahl ausgeschiedener adulter Saugwürmer, die bei sorgfältigem Durchsuchen auch mit bloßem Auge sichtbar sind.

Damit dies funktioniert, ist es jedoch wichtig, die Verdauungsfunktion aufrecht zu erhalten. Bei inappetenten Igeln, die nicht (ausreichend) selbständig fressen, sollte darum unbedingt von Hand entsprechend zugefüttert werden, damit die Parasiten auch ausgeschieden werden können.

Oral besser als Injektion

Der Wirkstoff Praziquzantel wird vom Organismus des Igels sehr schnell aufgenommen, dabei ist die Aufnahme bei oraler Gabe noch einmal sehr viel schneller als bei parenteraler Gabe (per Injektion). Wann immer es möglich ist, ist daher die orale Gabe (z.B. durch Handfütterung) von Praziquantel vorzuziehen.

So ist nach oraler Gabe der maximale Plasmaspiegel im behandelten Tier bereits nach wenigen Minuten erreicht (z. B. Maus: 5 min, Hund 30-120 min). Der Wirkstoff gelangt im Darm direkt an den Parasiten.

Nach einer Injektion wird der maximale Plasmaspiegel dagegen erst innerhalb von 3-4 Stunden erreicht [Q5] und der Wirkstoff erst im zweiten Schritt dann aus dem Blut in das Darmlumen sezerniert (abgegeben), wo es auf den Parasiten trifft.

Bei oraler Gabe wird der Wirkstoff über den Darm zudem auch resorbiert (aufgenommen) und danach aus dem Blut erneut in das Darmvolumen abgegeben, was einer zweiten Wirkungswelle gleichkommt.

Praziquantel ist vergleichsweise gut verträglich. Der Wirkstoff wird recht schnell ausgeschieden, beim Hund sind nach 24 Stunden bereits ca. 80% der Dosis ausgeschieden und nach 48 Stunden ist der Wirkstoff komplett eliminiert.

Quellen

Q1 Schnieder, Thomas: Veterinärmedizinische Parasitologie, 2006, ISBN: 978383044135: 8 Parasitosen des Igels – 8.2 Helminthosen des Igels

Q2 Wendell H. Krull: Some Observations on the Life History of Brachylaemus virginiana (Dickerson) Krull, N. 1934, in Transactions of the American Microscopical Society Vol. 54, No. 2 (Apr., 1935), pp. 118-134 (17 pages) [via JSTOR.org]

Q3 Pfäffle M, Černá Bolfíková B, Hulva P, Petney T (2014) Different Parasite Faunas in Sympatric Populations of Sister Hedgehog Species in a Secondary Contact Zone. PLoS ONE 9(12): e114030. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0114030

Q4 CliniPharm/CliniTox: Wirkstoff: Praziquantel – Pharmakologie

Q5 CliniPharm/CliniTox: Wirkstoff: Praziquantel – Pharmakokinetik